“Der Zugang führt durch einen Tunnel aus gleißendem Licht, dann landet man auf einer weitläufigen, mediterranen Terrasse”. Digitalpionier Micha hat umgesetzt, was vielen Menschen heute noch als Zukunftsmusik erscheint: Er hat einen virtuellen Erinnerungs- und Gedenkraum für seine verstorbene Mutter geschaffen. In unserem Interview erklärt er, wie der Raum aussieht und für welche Menschen und Situationen digitale Räume hilfreich sind. Und Micha erzählt, warum er darüber hinaus ein wenig von digitaler Unsterblichkeit träumt.
Erinnerungsraum von Micha für seine Mutter Astrid
Das ist nicht leicht, in ein paar Worten zu beschreiben – ich versuch’s mal:
Im Jahr der Weltwirtschaftskrise auf dem Lande geboren, hat sie vom vierten bis zum 16. Lebensjahr das Hitlerregime irgendwie durchgestanden. Nach dem Krieg schloss sie sich einer Schaustellergruppe an, zog mit denen durch die Lande, war eine Zeitlang sogar als Medium berühmt unter „die Atombombe der Metaphysik“, irgendwann Ende der 40er, Anfang der 50er war das. Dann fand sie ein Engagement bei der DEFA – aber, weil sie den Mund nicht halten konnte, wurde sie dort direkt von der Stasi festgenommen und für vier Jahre ins Gefängnis Rummelsburg weggesperrt. Nachdem sie freigekauft wurde, bekam sie Anfang der 60er mich und meinen Bruder von einem Mann, der sich sehr bald als Alkoholiker entpuppte. Also schlug sie sich als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern durch – wohlgemerkt in den 60ern – ließ sich nebenbei zur Krankenschwester ausbilden und zog uns beide groß. Dann ließ sie es sich nicht nehmen, sich mit 60 - 70 Jahren meinen Bruder zu schnappen, um in die USA auszuwandern. Nach etwa zehn Jahren kehrte sie nach Deutschland zurück und lebte bis zu ihrem plötzlichen Tod relativ einsam in einer kleinen Wohnung, die ihr noch bekannten Menschen starben nach und nach, sie wurde alt und auch etwas „verschrobener“. Am Ende war sie pflegebedürftig und ich übernahm ihre Versorgung vorwiegend, da ich mittlerweile ihr einziger Fixpunkt geworden war.
So, aber was war sie nun für ein Mensch? Das finde ich schwer zu beantworten.
Gerne: Der Zugang führt durch einen Tunnel aus gleißendem Licht, dann landet man auf einer weitläufigen, mediterranen Terrasse. Sie ist durch Steinbögen aus antiken Säulen begrenzt zum Meer hin, das man stets leise rauschen hört. Dazwischen schweben Bildhalter mit den jeweiligen Erinnerungsfotos oder -videos. Am anderen Ende der Terrasse sieht man die Sonne auf- oder untergehen und dort und überall zwischen den Bildern stehen große Terracotta-Kübel mit Pflanzen. In der Mitte stelle ich mir einen langgezogenen Springbrunnen vor, ganz ähnlich dem im Persischen Garten in den Berliner Gärten der Welt. Dieser Teil ist noch nicht fertig. Die Terrasse ist ansonsten nach allen Seiten offen, denn der Besucher soll das Gefühl haben, dass hier mediterrane bis kanarische Temperaturen herrschen. Das Ganze ist inspiriert von der „Terrasse der Unendlichkeit“ der Villa Cimbrone nahe Ravello an der Amalfiküste.
Diese Idee erscheint mir die derzeit intensivste Form des Erlebens eines abwesenden Menschen zu sein, in einer zudem noch frei gestaltbaren Welt; im Prinzip die konsequente Weiterführung der Idee, sich ein Fotoalbum des Menschen anzusehen, nur besser!
Die Immersivität, also die Erlebbarkeit der heutigen VR-Technologie, ist so weit fortgeschritten, dass es nur noch eine Frage der Rechnerperformance ist, lebensecht aussehende Avatare zu schaffen, die man im Prinzip mittels KI-Engines so modulieren kann, dass sie in der Sprache des erinnerten Menschen sprechen, sich so bewegen wie dieser und so weiter. Digitale Erinnerungsräume sind für mich der Anfang.
Eigentlich für alle, die sich intensiver erinnern möchten, als es bisher möglich war, gleichsam aber auch für alle, die sich treffen und gemeinsam erinnern wollen.
Letztendlich handelt es sich ja auch nur um ein digitales Mausoleum, das man betreten kann, um eine umfangreichere Erinnerung, ein Gefühl von „Nähe“ zu haben, oder auch um einen multimedialen Grabstein, der einem mehr zurückgeben kann von der vermissten Person, als es ein Stein je vermag. Die Realisierung meiner Vision betrifft dann allerdings nur all jene Menschen, die den Tod genau wie ich grundsätzlich als – naja – „Todfeind“ sehen, den es zu bekämpfen gilt und die diesbezüglich keine religiösen oder ethischen Skrupel haben.
Ich beschreibe meine Idee aus der Sicht des Momentes innerhalb der nächsten 38 Jahre – das Jahr, in dem ich 100 werde – in dem dies alles hoffentlich technisch realisierbar geworden ist:
Die VR-Immersivität hat mittlerweile fotorealistische Qualität erreicht, „Matrix-Qualität“ sozusagen. Rechnerkapazitäten und Performance stehen in nahezu unbegrenzter Menge und Geschwindigkeit zur Verfügung, seit Quantencomputer serienmäßig als Standardtechnologie im VR-Internet eingesetzt werden. Deshalb und dank der rasanten Entwicklung der KI seit den 20er Jahren ist mittlerweile nicht nur das menschliche Genom vollständig beschrieben, sondern auch die gesamte Hirnstruktur eines menschlichen Gehirns vollständig abbildbar und kann somit in gesicherten Quantencomputer-Zentren gespeichert werden. Darüber hinaus hat die mittlerweile vollständig erfasste Vernetzung des Gehirns mit dem Körper zur Perfektionierung einer Mensch-Maschine-Schnittstelle geführt, die es nunmehr ermöglicht, die gespeicherten Bewusstseinsdaten auch wieder herunterzuladen.
Zu guter Letzt hat der Durchbruch in der Kernfusionstechnologie das Thema Energiekosten endgültig in die Annalen des Industriezeitalters verbannt, da sie seitdem für alle Menschen nahezu unbegrenzt, naturverträglich und kostenfrei zur Verfügung steht.
Das Ergebnis all dessen ist eine Form der Unsterblichkeit, Bewusstsein, Seele und Persönlichkeit ohne Körper, stattdessen ein in der VR-Umgebung real existierender, erlebbarer Avatar mit dem eigenen Bewusstsein und der eigenen Gefühlswelt, der dank KI sogar so interaktionsfähig ist, wie man selbst.
Auf die zuletzt beschriebene Idee: Eher verhalten – solche Ideen sind einfach nicht jedermanns Sache. Auf den Erinnerungsraum reagieren alle durchweg begeistert.
Vielen Dank Micha, dass du deine Gedanken und Ideen mit uns geteilt hast!
Micha vor dem Erinnerungsraum für seine Mutter Astrid
Stefan Heimann - aktualisiert am 10.04.2024
“Der Zugang führt durch einen Tunnel aus gleißendem Licht, dann landet man auf einer weitläufigen, mediterranen Terrasse”. Digitalpionier Micha hat umgesetzt, was vielen Menschen heute noch als Zukunftsmusik erscheint: Er hat einen virtuellen Erinnerungs- und Gedenkraum für seine verstorbene Mutter geschaffen. In unserem Interview erklärt er, wie der Raum aussieht und für welche Menschen und Situationen digitale Räume hilfreich sind. Und Micha erzählt, warum er darüber hinaus ein wenig von digitaler Unsterblichkeit träumt.
Erinnerungsraum von Micha für seine Mutter Astrid
Das ist nicht leicht, in ein paar Worten zu beschreiben – ich versuch’s mal:
Im Jahr der Weltwirtschaftskrise auf dem Lande geboren, hat sie vom vierten bis zum 16. Lebensjahr das Hitlerregime irgendwie durchgestanden. Nach dem Krieg schloss sie sich einer Schaustellergruppe an, zog mit denen durch die Lande, war eine Zeitlang sogar als Medium berühmt unter „die Atombombe der Metaphysik“, irgendwann Ende der 40er, Anfang der 50er war das. Dann fand sie ein Engagement bei der DEFA – aber, weil sie den Mund nicht halten konnte, wurde sie dort direkt von der Stasi festgenommen und für vier Jahre ins Gefängnis Rummelsburg weggesperrt. Nachdem sie freigekauft wurde, bekam sie Anfang der 60er mich und meinen Bruder von einem Mann, der sich sehr bald als Alkoholiker entpuppte. Also schlug sie sich als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern durch – wohlgemerkt in den 60ern – ließ sich nebenbei zur Krankenschwester ausbilden und zog uns beide groß. Dann ließ sie es sich nicht nehmen, sich mit 60 - 70 Jahren meinen Bruder zu schnappen, um in die USA auszuwandern. Nach etwa zehn Jahren kehrte sie nach Deutschland zurück und lebte bis zu ihrem plötzlichen Tod relativ einsam in einer kleinen Wohnung, die ihr noch bekannten Menschen starben nach und nach, sie wurde alt und auch etwas „verschrobener“. Am Ende war sie pflegebedürftig und ich übernahm ihre Versorgung vorwiegend, da ich mittlerweile ihr einziger Fixpunkt geworden war.
So, aber was war sie nun für ein Mensch? Das finde ich schwer zu beantworten.
Gerne: Der Zugang führt durch einen Tunnel aus gleißendem Licht, dann landet man auf einer weitläufigen, mediterranen Terrasse. Sie ist durch Steinbögen aus antiken Säulen begrenzt zum Meer hin, das man stets leise rauschen hört. Dazwischen schweben Bildhalter mit den jeweiligen Erinnerungsfotos oder -videos. Am anderen Ende der Terrasse sieht man die Sonne auf- oder untergehen und dort und überall zwischen den Bildern stehen große Terracotta-Kübel mit Pflanzen. In der Mitte stelle ich mir einen langgezogenen Springbrunnen vor, ganz ähnlich dem im Persischen Garten in den Berliner Gärten der Welt. Dieser Teil ist noch nicht fertig. Die Terrasse ist ansonsten nach allen Seiten offen, denn der Besucher soll das Gefühl haben, dass hier mediterrane bis kanarische Temperaturen herrschen. Das Ganze ist inspiriert von der „Terrasse der Unendlichkeit“ der Villa Cimbrone nahe Ravello an der Amalfiküste.
Diese Idee erscheint mir die derzeit intensivste Form des Erlebens eines abwesenden Menschen zu sein, in einer zudem noch frei gestaltbaren Welt; im Prinzip die konsequente Weiterführung der Idee, sich ein Fotoalbum des Menschen anzusehen, nur besser!
Die Immersivität, also die Erlebbarkeit der heutigen VR-Technologie, ist so weit fortgeschritten, dass es nur noch eine Frage der Rechnerperformance ist, lebensecht aussehende Avatare zu schaffen, die man im Prinzip mittels KI-Engines so modulieren kann, dass sie in der Sprache des erinnerten Menschen sprechen, sich so bewegen wie dieser und so weiter. Digitale Erinnerungsräume sind für mich der Anfang.
Eigentlich für alle, die sich intensiver erinnern möchten, als es bisher möglich war, gleichsam aber auch für alle, die sich treffen und gemeinsam erinnern wollen.
Letztendlich handelt es sich ja auch nur um ein digitales Mausoleum, das man betreten kann, um eine umfangreichere Erinnerung, ein Gefühl von „Nähe“ zu haben, oder auch um einen multimedialen Grabstein, der einem mehr zurückgeben kann von der vermissten Person, als es ein Stein je vermag. Die Realisierung meiner Vision betrifft dann allerdings nur all jene Menschen, die den Tod genau wie ich grundsätzlich als – naja – „Todfeind“ sehen, den es zu bekämpfen gilt und die diesbezüglich keine religiösen oder ethischen Skrupel haben.
Ich beschreibe meine Idee aus der Sicht des Momentes innerhalb der nächsten 38 Jahre – das Jahr, in dem ich 100 werde – in dem dies alles hoffentlich technisch realisierbar geworden ist:
Die VR-Immersivität hat mittlerweile fotorealistische Qualität erreicht, „Matrix-Qualität“ sozusagen. Rechnerkapazitäten und Performance stehen in nahezu unbegrenzter Menge und Geschwindigkeit zur Verfügung, seit Quantencomputer serienmäßig als Standardtechnologie im VR-Internet eingesetzt werden. Deshalb und dank der rasanten Entwicklung der KI seit den 20er Jahren ist mittlerweile nicht nur das menschliche Genom vollständig beschrieben, sondern auch die gesamte Hirnstruktur eines menschlichen Gehirns vollständig abbildbar und kann somit in gesicherten Quantencomputer-Zentren gespeichert werden. Darüber hinaus hat die mittlerweile vollständig erfasste Vernetzung des Gehirns mit dem Körper zur Perfektionierung einer Mensch-Maschine-Schnittstelle geführt, die es nunmehr ermöglicht, die gespeicherten Bewusstseinsdaten auch wieder herunterzuladen.
Zu guter Letzt hat der Durchbruch in der Kernfusionstechnologie das Thema Energiekosten endgültig in die Annalen des Industriezeitalters verbannt, da sie seitdem für alle Menschen nahezu unbegrenzt, naturverträglich und kostenfrei zur Verfügung steht.
Das Ergebnis all dessen ist eine Form der Unsterblichkeit, Bewusstsein, Seele und Persönlichkeit ohne Körper, stattdessen ein in der VR-Umgebung real existierender, erlebbarer Avatar mit dem eigenen Bewusstsein und der eigenen Gefühlswelt, der dank KI sogar so interaktionsfähig ist, wie man selbst.
Auf die zuletzt beschriebene Idee: Eher verhalten – solche Ideen sind einfach nicht jedermanns Sache. Auf den Erinnerungsraum reagieren alle durchweg begeistert.
Vielen Dank Micha, dass du deine Gedanken und Ideen mit uns geteilt hast!
Micha vor dem Erinnerungsraum für seine Mutter Astrid
Stefan Heimann - aktualisiert am 10.04.2024
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