Der erste virtuelle Trauerraum

farvel.space

Mit “farvel” übertrugen wir 2021 erstmals Abschiedsfeiern und Erinnerungsorte in einen virtuellen 3D-Raum. Jede Person, unabhängig von Ort, Zeit und Gerät, konnte den farvel.space über den Browser betreten. Wir sahen Bilder der verstorbenen Person an den Wänden. Trauernde konnten untereinander kommunizieren, die Trauerrede anhören sowie Nachrichten und Bilder hinterlassen.

Erinnerungsraum für Mandy

Anfang

Wir waren drei Student:innen, die gerade ihren Master-Abschluss machten. Unabhängig voneinander widmeten wir unsere Abschlussarbeiten dem Tod. Ich (Lilli, gelernte Bestatterin) beschäftigte mich an der Universität der Künste mit der Digitalisierung der Bestattungsbranche. Titel: Der Tod und die Digitalisierung". Dem ging eine Businessidee voraus, die gemeinsam mit Komiliton:innen im Masterstudiengang Leadership in Digitaler Kommunikation entstand. Die “Deedbox”, ein Browser-Plugin zur Verwaltung des digitalen Nachlasses (2018). Als ich mich mit dieser Lösung an den Gründungsservice der Filmuniversität wandte, stellte Jörn Krug den Kontakt zur Designerin Jennifer Beitel her, die 2019 zur digitalen Trauerarbeit geforscht und eine eigene App entwickelt hatte. Gemeinsam mit Markus Traber, Experte für virtuelle Welten, entwickelten wir unsere verschiedenen Death Tech-Ideen weiter. Ein innovativer Hub entstand und in dieser neuen Konstellation bewarben wir uns kurzerhand für einen ersten Prototypen beim Berliner Startup Stipendium 2021 an der UdK. Wir bekamen die Zusage. Ein halbes Jahr später erhielten wir das EXIST Stipendium, das uns die fehlenden Mittel zur Umsetzung unserer Idee gab.

Filmuni-Gründungsteam

Filmuni-Gründungsteam

Usertest

Der erste Todesfall in meiner Familie hat mir gezeigt, dass es keine digitalen Lösungen für den Abschied von einem geliebten Menschen gibt. Es gibt zwar Videocalls und kleine animierte Kerzen auf den Internetseiten der Tageszeitungen. Aber einen Raum, in dem man sich gemeinsam erinnern, trauern und Abschied nehmen kann, unabhängig vom Ort, gab es online noch nicht. So begann unsere Arbeit an digitalen Erinnerungsräumen.

Da virtuelle 3D-Räume damals noch weitgehend unbekannt waren, testeten wir zunächst verschiedene Szenarien. Die Ergebnisse unserer Nutzertests zur Nutzbarkeit und Wirkung von 2D- und 3D-Virtual Spaces bestätigen, dass ein 3D-Erlebnis deutlich nachhaltiger im Gedächtnis bleibt. Da uns die virtuelle Umgebung dem Anlass eines Abschieds angemessener erschien, konzentrierten wir uns trotz technischer Schwierigkeiten auf die Entwicklung eines 3D-Abschiedsraums. So entstand der farvel.space.

Prototyp

Auf der re:publica 21 haben wir unseren ersten Prototypen “Die virtuelle Insel der Erinnerungen” vorgestellt. Auf der virtuellen Insel konnten Sprachaufnahmen mit Erinnerungen hinterlassen und von anderen angehört werden. Jeden Abend besuchten uns Gäste. Die Veranstaltungen auf der virtuellen 3D-Insel übertrugen wir live auf Youtube.

Vier Personen vor virtuellem Hintergrund

Wir bauten auf der Open Source Software Mozilla Hubs auf und konnten durch unsere Entwicklungen am Code der Open Source Community etwas zurückgeben und zur Entwicklung der Metaversen beitragen.

Innovation

Trauernde betraten den farvel.space mit einem Webbrowser über Computer, Smartphone, Tablet oder VR-Headset. Erinnerungen konnten medial oder im direkten Gespräch ausgetauscht werden.

Die Idee, 3D-Räume für die Trauerarbeit und -verarbeitung zu nutzen, ist innovativ und betritt Neuland. Was braucht ein digitaler Abschieds- oder Erinnerungsraum und wie sollte er gestaltet sein?

Aus den Erfahrungen mit der virtuellen Erinnerungsinsel auf der re:publica haben wir gelernt, dass der 3D-Raum eine Begrenzung braucht, z.B. durch Wände. Das erleichtert es den Besucher:innen, Orientierung zu haben und Ereignisse zu verorten. Der virtuelle 3D-Raum wurde mit einem 3D-Avatar betreten. Aus der Ich-Perspektive (Egoperspektive) heraus, sehen die Nutzer:innen nur ihr Gegenüber als Kopf-Avatar dargestellt.

farvel war der erste virtuelle 3D-Ort des Abschieds, der Erinnerung und des Austauschs, an dem Trauernde einer verstorbenen Person gedenken konnten. Wir boten den Menschen eine virtuelle Ergänzung zur physischen Bestattungs- und Trauerkultur. Sie verband Trauerfeier, Leichenschmaus, Beileidsbekundungen und Erinnerungsort in einem digitalen, ortsunabhängigen Raum. Trauernde erhielten so einen einzigartigen Erinnerungsort für eine verstorbene Person. Dadurch konnte sich die Erzählung über den Verstorbenen verändern, denn durch den virtuellen Erinnerungsraum können neue Erinnerungen entstehen und weiterleben, was für den individuellen Trauerprozess eine wichtige Rolle spielen kann.

Beginn

Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen durch Magazine wie dem Spiegel, der TAZ, dem Bestattermagazin und oder im t3n Magazin und in Podcasts (Weizenbaum Institut, Dritte Klappe, Trau Dich Reden) und Radiobeiträge (rbb, radio1, Deutsche Welle, WDR, SWR).

Auf der re:publica 22 durften wir eine Podiumsdiskussion über die Zukunftsperspektiven der Bestattungs- und Erinnerungskultur hosten. Unsere Gäste waren: Meine Erde, Wer Du Warst und Stefanie Schillmöller

Zum letzten Mal pitchen wir unser Projekt “farvel” auf der Bühne der mth Conference in Babelsberg, danach trennten sich unsere Wege.

Im November 2022 folgte die Gründung einer GmbH mit Anton Krause unter neuem Namen: VYVYT Innovations GmbH

Und meine Vision, der Bestattungsbranche mit einem virtuellen 3D-Erinnerungsraum einen Quereinstieg in die Digitalisierung zu ermöglichen und zugleich Trauernden einen zugänglichen ortsunabhängigen Raum für Abschied und Erinnerung zur Verfügung zu stellen, wächst weiter. 

Wir danken unseren Weggefährten: 

Trendanalystin und Innovationsstrategin Stefanie Schillmöller berät Unternehmen in Europa und den USA. U.a. und stellt sie ihren Kund:innen zentrale Entwicklungen in der Trauer- und Bestattungsbranche vor. Mit ihrem Instagram Account ___goodgrief___ spielt sie eine zentrale Rolle in der Trauerbranche und vernetzt uns derzeit mit den wichtigsten Unternehmen der Branche. Sie ist die erste, die uns entdeckte und seither eine treue Unterstützerin. 

Das größte Netzwerk für Trauerredner:innen Wer Du Warst mit über 150 Redner:innen in ganz Deutschland konnten wir als Partner:innen seit Oktober 2021 gewinnen. Gemeinsam haben wir den zeremoniellen Ablauf der Abschiedsfeier unter realen Bedingungen getestet und spezifische Funktionen für unsere B2B Kund:innen implementiert.

Die App für Trauerbegleitung grievy entstand zum gleichen Zeitpunkt wie farvel.space zu Beginn des Jahres 2021. Von Anfang an waren Nele und ihr Team eine wichtige Schnittstelle im farvel.space, welche es Trauernden in unserem Erinnerungsraum erlaubten, sich psychologische Unterstützung zu holen.

Meine Erde hat eine Alternative zur Erd- oder Feuerbestattung namens Reerdigung entwickelt, bei welcher der Körper einer verstorbenen Person innerhalb von 40 Tagen zu Humus transformiert wird. Gemeinsam sprachen wir über einen persönlichen Erinnerungsraum für die verstorbene Person, an die während der 40 Tage ortsunabhängig gedacht werden kann.

Sterbebegleiterin und Autorin Johanna Klug hat sich nach langjähriger Erfahrung im Hospiz- und Palliativbereich auf die Begleitung Sterbender auf Palliativstationen und die Betreuung von (Kinder-) Trauergruppen spezialisiert. Gemeinsam realisierten wir die erste virtuelle Lesung während des Lockdowns 2021, um ein Gruppenevent im 3D-Raum zu erproben und dem Thema Tod einen Platz in unserer Gesellschaft zu geben.


Pressestimmen





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Podiumsdiskussion: Kann KI Trauer heilen?